1.Tag, Anreise
Es ist Anfang April und es sind Osterferien. Wir fliegen von
Köln nach Edinburgh. Der Flug dauert so lange wie die Bahnfahrt von Köln nach
Gerolstein in der Eifel im Verkehrsverbund. Erfreulich: nach dem grauen
Betondesign des Kölner Flughafens empfängt uns der schottische
Hauptstadtflughafen mit der Farbe Lila. Wände, Schriftzüge, einfach Alles ist
distelblütenlila.
Mit dem Bus fahren wir ins Stadtzentrum zum Bahnhof. Auf einer Straßenecke spielt ein
Dudelsackspieler kölsche Töne. Na ja vielleicht spielt die Kölner Band, von der
wir das Lied kennen, eher die schottischen Töne. Mit dem Triebwagen fahren wir in einer Stunde
in den schottischen Westen, nach Glasgow. Der Bahnhof ist eine Wucht!
Holzvertäfelungen, ein lichtdurchfluteter Aufenthaltsbereich und kein Gedränge.
Ich vermute, man wollte den Kölner Hbf auch so konstruieren, hat aber nicht
funktioniert. Wir nehmen den Regionalzug
und fahren zum Ausgangspunkt der Wanderung. Der Ort wird Milngavie geschrieben,
wir erfahren aber von netten und neugierigen Schotten, die von ihrem Shoppingtag
nach Hause fahren, dass der Ort „Mullguy“ ausgesprochen wird.
Milngavie ist ein unspektakulärer Vorort von Glasgow. Unsere
Gastgeberin erwartet uns bereits. Wir übernachten in der ersten Etage in einem
kleinen, aber urgemütlichen Zimmer. Als wir die Treppen hochsteigen, erzählt
sie uns, dass sie vor kurzem zwei Trailrunner zu Gast hatte. Die kamen die
Treppe nicht mehr hoch, weil sie den WHW von Fort William bis Milngavie in zwei
(!) Tagen bewältigt hatten. Meine Güte, diese Schotten!
Nach einem umfangreichen Essen im Pub gingen wir schlafen
und träumten schon vom morgigen Tag, unserem ersten Wandertag in Schottland und
dem ersten Tag auf dem Westhighland Way.
2. Tag, Milngavie- Drymen (ca. 20 km)
Ein schottisches Frühstück ermöglicht es einem, bis in den
Nachmittag zu wandern, ohne auch nur die leisesten Anzeichen von Hunger
feststellen zu können.
Das Wetter ist fabelhaft. Strahlend blauer Himmel,
Sonnenschein und um die 10 Grad. Wir machen das übliche Foto am Start des Weges
und ziehen erwartungsvoll los.
Durch eine städtische Parkanlage mit Bäumen (auf Bildern vom
WHW haben wir nie Bäume gesehen!) steigt der Weg ständig an und wir lassen die
Stadt hinter uns. Zu unserer Rechten liegt ein Angelweiher und am Horizont
erblicken wir die ersten schottischen Berge. Für die nächste Wanderstunde
bleiben die Campsie Fells zu unserer Rechten ein treuer Begleiter. Wie rund diese
Berge sind!
Der Weg führt nun in ein Tal. Wir überholen zwei ältere
Frauen, die ebenfalls den WHW wandern.
Auf einer Wiese rennen Vögel mit langen Schwanzfedern. Die
kenne ich vom Hut meiner Oma! Wir befragten die beiden Wanderinnen, welche
sonderbaren Vögel dort auf der Wiese laufen, nach kurzer Beratung antworten sie:
„Pheasants! These are pheasants!“ .
Ein paar Minütchen weiter gelangen wir auf das Außengelände
eines Pubs. Es ist ungefähr 11 Uhr und wir sind mächtig durstig. Nach einem
kurzen Sonnenbad (wir sind viel zu warm angezogen!) beschliessen wir, uns ein
schottisches Bier zu genehmigen. Ich
täusche Gelenkschmerzen vor und Susanne erklärt sich bereit, Bier zu holen.
In bestem Wirtschafts-Englisch sagt sie: „Two beer, please!“
„Äh,äh, äh-xcuse me?“, Sagt der wie vom Blitz getroffene
Kellner.
„What is so
special about two beer for two thirsty hikers in a Pub?“, erwidert Susanne.
“It’s 11
o’clock!”
“Isn’t it
allowed to be thirsty at 11 o’clock in Scotland?”
“No, äh
yes, certainly! But you are still in Britain and all the Pubs are licensed!”
“Licensed? For
what?”
“For
selling beer to the public from 1 p.m. onwards!”
“O my good!” rief Susanne und sah jetzt aus wie der Kellner
nach ihrer Frage nach zwei Bier.
Dies war etwas, was wir gar nicht auf dem Schirm hatten! Da
bricht sich plötzlich die Mäßigungsbewegung des Protestantismus in die
Highlandidylle Bahn!
Kurzes Schweigen.
„Ok. Then
make it two cider, please.”
Diesen Wunsch wollte der Kellner nicht abschlagen. Erst
jetzt bemerkte Susanne auf einem Barhocker einen kleinen, unauffälligen Mann.
Er grinste über beide Ohren. Sein Lächeln über den eben geführten Dialog konnte
die Erschöpfung in seinen Augen nicht verbergen. Seine Kleidung wies ihn als
Wanderer aus.
Er stellte sich kurz als Alan vor und wünschte uns noch
reichlich amüsiert einen schönen Tag. Wir sollten ihn bald wieder treffen.
Die Glengoyne Distillery passieren wir ganz unbeeindruckt.
So etwas passiert uns nicht noch einmal!
Auf der letzten Anhöhe vor Drymen setzten wir uns in die
Sonne und futtern unsere Bananen, die wir noch aus Deutschland mitgebracht
haben. Ein niederländisches Paar, das
auch auf dem WHW unterwegs ist, bietet sich an, ein Foto von uns zu machen. Wir
nehmen gerne an: Im Hintergrund, die Berge, davor wir zwei auf Sitzkissen, die
Füße von uns gestreckt, eingerahmt von Bananenschalen.
Nach Drymen kommen wir viel zu früh. Unser Zimmer ist noch nicht fertig, so
verbringen wir noch zwei Stunden im Ort. Wir genehmigen uns ein Eis in der
Sonne, bestaunen alte Whiskeys in einem Fachgeschäft und nahmen das Abendessen
im Clachan Inn ein. Dies ist der älteste lizensierte Pub in Schottland.
Kulinarisch war dort nichts geboten. Der Burger schmeckte wie überall und die
Pommes waren schon so alt wie die Lizenz.
Unsere Gastgeberin betreibt seit dem Tod ihres Manne ein
B&B mit drei Zimmern. Wir waren die einigen Gäste. Die Zimmer waren luxuriös und vor der Tür
schlich die alte Dame immer mit dem Staubwedel
herum. Wir beschlossen, noch
einmal kurz vor Anbruch der Dunkelheit vor die Tür zu gehen.
Über den Campsie Fells zog der Vollmond unbeirrt in einer
sternenklaren Nacht seine Bahn. Welch ein Schauspiel!
Ein älterer Mann stand plötzlich neben uns. Aus seinem fast
zahnlosen Gebiss fielen die Worte „Isn’t it beautiful, isn’t it?“
erwartungsvoll schaute er uns an. Er war der Freund des Hauses, der die alte
Dame regelmäßig abends besuchte. Er erzählte uns, dass er früher Schäfer war
und beschrieb das Schafe scheren. Schafe
seien im Winter nicht allzu anfällig, außer der Schnee liegt höher als die
Körpergröße der Tiere ist. Dann müsse man sie unbedingt einsammeln und in einen
Stall bringen.
Nach der angeregten Unterhaltung mit dem alten Mann begaben
wir uns in unser Bett und schliefen friedlich unter einem freundlichen Highland
Himmel und unter der Beobachtung unserer Gastgeberin ein.
3. Tag, Drymen-Rowardennan (ca. 24 km)
Nach einem umfangreichen Frühstück, bei dem es sich unsere
Gastgeberin nicht nehmen ließ, uns ihre selbstgemachte Whiskeymarmelde
anzubieten, machten wir uns wieder auf den Weg.
24 km sind im deutschen Mittelgebirge für einen halbwegs geübten
Wanderer kein Problem. In den Highlands sieht das aber anders aus. Für die
heutige Strecke, die ständig bergauf, bergab führte, benötigten wir fast sieben
Stunden reine Wanderzeit.
Aber welch ein schöner Tag wurde uns hier geboten:
Sonnenschein, klare Luft und wahnsinnige Aussichten.
Höhepunkt der Etappe war der Conic Hill. Er bot eine
Aussicht auf den Loch Lomond und die umliegenden Berge, die einen sprachlos
macht. Jeder Wanderer des Westhighland Way pausiert bei gutem Wetter dort.
Daher war es nicht so einfach, noch einen freien Platz zu ergattern. Es war so schön, wir wollten gar nicht mehr
weiter. Wärme, Ruhe führten zu einem ungewöhnlichen Hochgefühl. Erst als mich Susanne
wieder aufweckte, wurde ich mir bewusst, dass wir noch etliche Kilometer zu
gehen hätten. Alle anderen Wanderer
waren schon weiter gezogen.
Wie eine Achterbahn verläuft der Weg entlang des Loch (das
schottische Wort für lake, lac, lago oder See). Ab und an warten ein paar
giftige Anstiege auf den müden Wanderer. An einem solchen Anstieg treffen wir
auf ein Paar aus Bocholt, das sich auch zum Ziel genommen hat, den WHW zu
durchwandern. Die unbenutzten Deuter-Rucksäcke und die karierten Hemden bzw.
Blusen wiesen sie schnell als Deutsche aus. Nach kurzem Smalltalk ließen wir
sie hinter uns und erreichten Rowardennan Hotel. Es liegt direkt am Loch und
ist wohl erst vor kurzem renoviert worden.
Zum Abendessen fanden wir uns eine Etage tiefer im Pub
ein. Die Bedienung hinter’m Tresen
füllte uns zwei Belhaven Best ab und verwickelte uns in ein Gespräch. Er wollte wissen, wo wir denn herkämen. Sein
Blick verriet aber schon, dass er wusste, dass wir aus Deutschland kommen. Er
sagte, er sei auch schon mal da gewesen. Am meisten habe ihn der Mont Blanc
beeindruckt.
„Mont
Blanc?!“
„Yes, guys,
Mont Blanc! Fantastic Mountain!
“But it is
in France. Germany has only the Zugspitze!”
“The what?!
You’re kiddin’ me! No, no, I have been there. It is in Germany. Beautiful country!”
Das gerollte “R” wie in Gerrrrmany wies ihn als
Einheimischen aus. Nun, wir wollten nicht diskutieren, bedankten uns für das
Bier und setzten uns an einen Tisch.
Nach dem Abendessen (war viel besser als in Drymen) und
ungefähr einem halben Bier später betraten die beiden karierten Hemden den
Schankraum. Sie erblickten uns und obwohl wir dezent auf die Seite schauten,
kamen sie auf uns zu und fragten, ob sie sich zu uns setzten dürften. Sie waren
anscheinend froh, jemanden gefunden zu haben, der Ihre Sprache spricht.
„Wir wandern den Westhighland Way!“
„Ach ja?“
„Ja, hier schaut mal, ich habe alles aufgeschrieben!“. Er
zog aus seiner Brusttasche ein selbstgemachtes Büchlein und blätterte die
ersten paar Seiten durch.
„Hier sind wir jetzt!“, sagte er voller Begeisterung.
„Ja, das wissen wir. Wir haben hier eben schon zu Abend gegessen.“
Er war unbeeindruckt von der Feststellung, dass er nicht der erste ist, der
schon „hier“ ist. Er zeigte uns ein ausgedrucktes Höhenprofil der heutigen
Etappe, das er zu Hause in sein Büchlein eingeklebt hatte. Auf die nächste
Seite hatte er sich die Tourenbeschreibung
geklebt und zeigte mit seinem Zeigefinger darauf. „Toll, oder?!“.
„Ja, es war heute eine schöne Etappe! Und das Wetter war so
herrlich!“. Doch darauf ging der Knabe gar nicht ein. Er war so angetan von
seinem Büchlein, wie ein Säulenheiliger im Moment der Erkenntnis.
Seiner Frau wurde es etwas peinlich und sie konnte ihn dazu
zu bewegen, das Essen zu bestellen.
Während er sein Abendmahl einnahm, predigte er unablässig
über Schottland und seinen Whiskey.
„Ich mache in den nächsten Ferien ein Whiskey-Diplom!“,
verkündigte er lautstark und spülte die letzten Reste seiner Mahlzeit mit einem
Schluck Bier hinunter.
„Ein Whiskey-Diplom?“ , fragte ich erstaunt und Susanne sagte sogleich „Was soll man denn damit anfangen? Schmeckt
der Whiskey dann besser?“.
Aber auch das brachte unseren Landsmann nicht aus der
Fassung. Genüsslich dozierte er, dass man viel über Whiskey wissen müsse, bevor
man etwas über Whiskey sagen könne. Nur ein Fachmann könne auch den Geschmack
würdigen.
Es stellte sich schnell heraus, dass der gute Mann so viel Ahnung
von Whiskey hatte wie das Highland Rind
vom Joghurt. Seiner Frau wurde es immer unangenehmer und sie zupfte ihn ganz
leicht am Hemd, um wenigstens nur kurz seine Aufmerksamkeit zu erhalten. Doch es half nichts.
Just in diesem Moment betrat der Erlöser den Raum.
Der Erlöser betrat in
der Gestalt eines kleinen unauffälligen Mannes den Schankraum, der sich suchend
nach einem freien Platz umsah. Unsere Augen kreuzten sich und er verstand
sofort. Er kam an unseren Tisch, zog sich einen Stuhl vom Nachbartisch bei und
fing an zu erzählen. Es war Alan! Das freundliche Lächeln trug er immer noch im
Gesicht.
Susanne und ich richteten unsere Aufmerksamkeit sofort auf
ihn und es dauerte ein paar Minuten bis unserem Dozent im karierten Hemd gewahr
wurde, dass wir ihm gar nicht mehr zuhörten. Erst jetzt konnte er das zaghafte
Ziehen seiner Frau am Hemdsärmel bemerken und sah in ihr flehendes Gesicht
„Komm, wir müssen schlafen gehen!“.
Ihr war das alles sichtlich peinlich und sie verabschiedete
sich mit einem „Gute Nacht!“ und zog ihn hinter sich her.
Am Nachbartisch saß eine Reisegruppe (ganz Augenscheinlich
aus Deutschland) mit ihrem Wanderführer am Tisch. Seine Gruppe hatte Mühe, die
Augen offen zu halten und er verspürte keine Lust, mit ihnen Konversation zu
betreiben. Er ließ seine Augen geistesabwesend durch den Raum schweifen, bis
einem aus der Gruppe das Gesicht schlaftrunken in die Suppe fiel. Plötzlich
waren alle wieder wach. Nachdem die Sauerei beseitigt war, trollten sie sich in
die Betten.
Der Abend mit Alan war richtig angenehm. Wir machten Witze
und unterheilten uns angeregt so lange, bis uns vor Müdigkeit die Augen
zufielen.
Alan arbeitete bei einer großen britischen
Versicherungsgesellschaft und wollte den WHW ganz alleine – ohne seine Frau –
wandern. Doch, da er das Wandern nicht gewohnt und sein Rucksack viel zu schwer
war, entstanden ihm heftige Knieschmerzen, die ihn zum Abbruch der Wanderung
zwangen.
4. Tag, Rowardennan- Ben Lomond und zurück (ca. 10 km)
Am nächsten Morgen wollten wir den Ben Lomond besteigen. Wir
verabschiedeten uns von Alan und tauschten Emailadressen aus. Unsere schmutzige
Wäsche brachten wir zum Wäscheservice des Hotels. Am nächsten Tag sollte sie
fertig sein.
Ben Lomond ist ein Berg, den jeder Wanderer besteigen kann,
der einfach nur die nötige Fitness hat. Es gibt keine Kletterpassagen und
keinerlei sonstige Probleme auf dem Weg nach oben.
An den Ufern des Loch Lomond hat man ein kleines
Toilettenhäusschen für die Camper, die sich hier gerne niederlassen,
installiert. Das Häusschen scheint von den Campern nicht angenommen zu werden,
da überall im Umkreis Klopapier herumlag. Auch das Seeufer war zugemüllt.
Heutzutage hat die Nationalparksverwaltung daher das Zelten dort strikt
untersagt.
Unser Weg führte nicht allzu steil ansteigend stetig nach
oben. Vor uns quälte sich ein Herr mittleren Alters mit einem gigantischen
Expeditionsrucksack den Berg hinauf. Sein Kopf war so rot wie ein Stück Parmaschinken und er
schnaufte und röchelte wie ein alter Teekessel. Wir begrüßten ihn und er
erwiderte unsere Begrüßung mit einem
angedeuteten Kopfnicken. Bei dem Anblick seiner weit aufgerissenen Augen
beschlossen wir, ihn nicht zu fragen, was er denn alles in seinem Rucksack
hätte. Wir hatten einfach Angst, dass er durch die Doppelbelastung Gehen und
Reden durch einen Herzinfarkt dahin gerafft würde.
Nach einer viertel Stunde blickten wir zurück und sahen,
dass unser kochender Teekessel umgekehrt
war und ins Tal wankte.
Knapp unterhalb des Gipfels wurden wir von drei sportlichen
Herren um die 50 Jahre alt überholt. Die hatten es eilig und es blieb bei einem
freundschaftlichen „Hi!“
Vom Gipfel hatte man eine traumhafte Aussicht in die
Highlands und zu den Inseln westlich vor Schottland. Wir konnten uns gar nicht
satt genug sehen.
Erst jetzt bemerkten wir, dass die Rötungen in unseren
Gesichtern nicht von der Anstrengung, sondern vom Sonnenbrand herrühren.
Die drei Herren saßen schon auf dem Gipfel,genossen den sommerlichen Tag und begrüßten uns noch einmal sehr freundlich.
„Where are
you from?“
„We are
from Germany!“
„Ah,
Germany! I have once been in Berlin. Nice City. But why do you came to Scotland
for walking. Don’t you have the Alps?"
“Yes, we do
have the Alps, but it is easier for us to get to the Highlands than to the
Alps!”
“Ah,
really? Funny thing. What do you think are we from? Scotland, Ireland or
Wales?”
Die Frage kam etwas unerwartet für uns . Wir schauten uns
gegenseitig ratsuchend an. Der zweite aus der Gruppe sagte zu ihm „How can they
know it? How can they know
which dialect you are speaking?“ Das überzeugte den anderen.
“See, I am
from Wales, the others from Scotland. We have different dialects!”
Wir konnten trotzdem keinen Unterschied hören.
„We have
been in Crianlarich last night. In the hotel. Do you know? It has a new
management. They are from South Africa. I wanted to start a fight fight with a
waiter there. But he didn’t want to fight.”
Sagte der
dritte Wanderer “And I had to pull him off, stupid guy!”. Alle drei Lachen. Sie wollen heute noch
den ein oder anderen Berg besteigen und verabschieden sich ins Tal.
Dies war unsere erste Begegnung mit Munrobaggern.
Munrobagger sind eine schottische Spezialität.
Die Berge in Schottland werden nach Höhe kategorisiert. So gibt es (von
unten nach oben) die Murdos, die Grahams, die Donalds, die Corbetts und die
Munros. Der Munrobagger besteigt nur Munros und interessiert sich nicht für
Corbetts oder ähnliches. Auf einer Schottlandkarte wird neben dem Munro das
Datum der Besteigung eingetragen. Und wer sie alle hat, ist ein echter Bagger!
Manche schaffen das in einem Jahr, manche in ihrer Lebenszeit und manche nie.
Interessanterweise werden die Corbetts verachtet, obwohl sie
viel schwieriger zu besteigen sind als die Munros, da es – wegen dem mangelnden
Interesse – keine Wege hinauf gibt.
Schon ein sonderbares Volk, die Schotten!
Wir verweilten noch etwas in der Sonne und folgten ihnen
dann gemütlich nach unten.
5. Tag, Rowardennan-Crianlarich ca. 33 km
Der erste Teil der Etappe verlief entlang der Ufer des Loch
Lomond. Die Aussichten auf den See waren
immer schön, die Geräuschkulisse im
Hintergrund erinnerte an den Rheinsteig. Der Fahrzeuglärm raubte jede
Highlandromantik. Im Inversnaid Hotel bestellten wir uns zwei Kaffe und setzten
uns auf die Terrasse. Neben uns saßen zwei Wanderer aus Koblenz. Der eine klein
und dünn in Jeans mit einem billigen Rucksack (viel gewandert ist der noch
nicht) und der andere wie ein Einzelkämpfer von der Bundeswehr mit Glatze und
in Tarnhose. Was der kleine so macht,
konnten wir nicht in Erfahrung bringen, der bullige war in der Tat von der
Bundeswehr.
Unser Weg führte uns weiter nach Norden. Nach einer Pause trafen wir wieder auf die beiden aus Koblenz. Der kleine war
bedient und rief sich ein Boot herbei, mit dem er auf die andere Seeseite
übersetzen konnte, um den Bus zu erreichen. Der Bundeswehrler wollte unbedingt
durchknüppeln und preschte vor uns gleich los.
Ein indisches Mittagessen nahmen wir auf der Beinglas Farm
ein, immer das Summen der Motoren im Hintergrund.
Spät abends, mit dem Einbruch der Dunkelheit, erreichten wir
Crianlarich. Unsere Gastgeber stellten uns ein kleines Gästezimmer in ihrem
American-Style Bungalow zur Verfügung. Wir duschten und gingen gleich in’s Pub.
Dort war es nicht schön. Es war ziemlich schäbig. Eine Neonröhre an der Decke
verbreitete eine sterile Atmosphäre und das Essen war aus der Tiefkühltheke.
Und siehe da, die beiden Koblenzer erschienen für eine
Mahlzeit ebenfalls im Pub. Das Essen war auch dort schnell erledigt.
Ich holte noch ein Bier für Susanne und mich an der Theke und schwankte zum Tresen.
Sagt der Einzelkämpfer zu Susanne:
„Der läuft aber auch wie auf Eiern!“
„Ach ist mir gar nicht aufgefallen. Hat auch nichts gesagt!“
„Das würde ein Mann nie tun!“
Alle Beteiligten waren hundemüde und ein frühes ins Bett
gehen war allen garantiert.
6. Tag, Crianlarich- Inveroran (ca. 23 km)
Der lange Tag von gestern steckte noch ganz schön in den
Beinen. Wir gingen es daher langsam an. Vorbei an Kirchenruinen und einem Moor,
in dem der schottische Nationalheld Robert the Bruce sein Schwert nach einer
seiner üblichen Schlachten versenkt haben soll, passierten wir die imposante
Kulisse von Ben Lui zur Linken. Beeindruckend! Weniger beeindruckend war die
breite Straße, die erst kürzlich dorthin gebaut wurde. Die steigenden
Goldpreise haben die schottische Regierung dazu veranlasst, dort die alte
Goldmiene weiter zu betreiben.
Wir kamen nach Tyndrum und genehmigten uns einen Bio-Kaffee
in einem ökologisch aufgemachten Bistro. Die Bedienung war überglücklich, zwei
Leute aus Köln zu treffen. Er war vor
einem Jahr mal in Köln und es gefiel ihm gut dort.
Nach einer kurzen Pause zogen wir weiter. Der Weg folgte
jetzt der Bahnstrecke. Der Zug fährt nördlich von Tyndrum über ein
spektakuläres Viadukt durch eine wirklich spektakuläre Landschaft. Störend waren
nur die abgebrannten Moore an den Berghängen. Die Landbesitzer verbrennen alle Pflanzen, damit die für die
Moorhühner erforderlichen Pflanzen besser sprießen. Die Moorhühner werden dann
im Herbst in großflächigen Jagden wieder abgeknallt.Das mittelalterliche Landsystem wurde in Schottland erst
2003 abgeschafft!
Wir steuerten nun auf Bridge of Orchy zu und pausierten vor
dem Hotel bei einem Bier. Die beiden Koblenzer kamen wieder des Weges, pafften
eine Zigarette nach der andern und schlürften einen südafrikanischen Weißwein
nach dem anderen. Sie haben für heute Nacht noch kein Zimmer gefunden. Das Hotel bietet zusätzlich noch einen
Bunkroom an und dorthin verschlägt es die beiden später. Der kleine hat auch gleich
angedeutet, dass für ihn die Wanderung beendet ist. Er legt die restliche
Strecke mit dem Bus zurück.
Inveroran Hotel liegt am ganz westlichen Ende von Rannoch
Moor. Dort war es zur Abwechslung mal wieder absolut still. Keine Autos,
nichts. Nach dem erstklassigen Essen
begaben wir uns ins dazugehörige Pub und trafen dort wieder auf die beiden Niederländer
vom ersten Tag. Wir kamen ins Gespräch und sie erzählten, dass die Angestellten
im Rowardennan Hotel ein Paar gesucht hätten, das zwar die Wäsche waschen ließ,
aber nicht gezahlt hatte. Ups! Das waren wir! Wir hatten die Wäsche
mitgenommen, aber es war niemand zum Zahlen da… Die beiden Niederländer wurden
vom Hotelpersonal der Zechprellung bezichtigt.
Nachdem nun alles aufgeklärt war, war das Gelächter groß und mit einem
gemeinsamen Bier begossen wir den Abend.
7.Tag, Inveroran- Kinlochleven (ca. 30 km)
An einer Brücke trafen wir einen gequält aussehenden Wanderer.
Auf dem Rücken ein riesiger Rucksack, standen die Füße in Wanderstiefeln, von
denen ich dachte, so etwas trug man nur bis in die dreissiger Jahre. Er
versuchte trotz seiner Blasen an den Füßen gute Laune zum bösen Spiel zu
machen. Mister Blister verabschiedete uns mit einem gequälten Lächeln und blieb
weiter sitzen. Er wirkte fast wie
angeschraubt.
Nach einer Stunde trafen wir wieder die Niederländer,
diesmal bereiteten sie sich mit einem Gaskocher einen Kaffee am Wegesrand.
Überholt wurden wir von zwei Engländerinnen, die sehr unrund
gingen. Auch sie trugen gigantische Rucksäcke, hatten Blasen an den Füßen und
die Beine bandagiert.
Eine Schottin nötigte ihre vielleicht zehnjährige Tochter
zum schnelleren Wandern. Sie wollte nicht hinter uns zurück bleiben und sah es
als ihre oberste Pflicht an, uns zu überholen. Die Tochter fror in der
Morgenkühle und hatte keine Lust, den WHW zu rennen, aber die Mutter war
unnachgiebig. Hier erinnerte der WHW an den Highway to Hell. Die meisten quälten
sich zum Ziel, keiner hat einen Blick für die traumhaft schöne Landschaft.
Und dann kam er.
Der schönste Berg der Highlands.
Der Buachaille Etive Mor. Auf Deutsch: der große Schäfer des
Glen Etive.
Beeindruckend! Über dem flachen Moor ragt der Berg über 1000
Meter in die Höhe. Er hat perfekte Konturen und man muss immer wieder hinsehen.
Susanne sagte, der Berg hat uns gerufen, sie konnte es deutlich hören.
Am Wegesrand setzte ein Taubenzüchter seine Tauben aus. Sie
sollten nach Hause fliegen. Nach Hause war Fort William. Die Tauben schraubten
sich wie aufwirbelnde Herbstblätter in die Höhe, die Sonne reflektierte sich
auf den Unterseiten der Flügel. In ca. 100 Metern Höhe hatten sie sich
orientiert und flogen direkt in Richtung Fort William.
Aber der Highway to Hell sollte erst noch kommen. Nun überquert der Weg die große Straße, die man schon die ganze
Zeit gehört hat. Nach fünf Minuten abwarten fanden wir eine günstige
Gelegenheit, auf die andere Seite zu rennen und unsere Wanderung fortzusetzen.
Vor dem Kingshouse Hotel grasen Rehe und Hirsche. Die
fressen sogar aus der Hand.
Ein Bus fuhr den Weg entlang, hielt an und aus ihm strömten
unzählige Asiaten. Sie fotografierten Susannes Versuche, den Hirsch zu füttern
und sie waren so schnell wieder verschwunden,
wie sie aufgetaucht sind. Den Hirsch hat das nicht gestört.
Bis zur Devil’s Staircase, dem höchsten Punkt des WHW wurden
die Straßengeräusche immer lauter. Der Weg wird breiter und langweiliger.
Susanne konnte es nur ertragen, indem sie die Gehgeschwindigkeit drastisch
erhöht hat. Dabei half ihr „Here I go again on my own“ von Whitesnake aus
meinem MP3-Spieler. So habe ich sie noch nie gesehen.
Der Aufstieg über die Teufelstreppe ist nicht sonderlich
steil. Auf dem Scheitelpunkt angelangt, fühlten wir uns an Bilder von
Lazaretten aus dem ersten Weltkrieg erinnert: am Wegesrand saßen die geschundenen und ungeübten Wanderer
nebeneinander wie die Tauben auf der Stange.
Gigantische Rucksäcke daneben im Gras. Die meisten waren total
erschöpft, manche hatten einen Nervenzusammenbruch und heulten, fast alle haben
die Schuhe ausgezogen und bewunderten die zahlreichen blutigen Blasen an den
Füßen. Dass man nicht im Kriegslazarett war, erkannte man nur an den fehlenden Kopfverbänden.
Der Abstieg nach Kinlochleven war lang und steinig, die
Ausblicke sehenswert.
Hinter einer Biegung des Weges sahen wir wieder die
Schottin. Mann, muss die Tempo gemacht haben! Die Kleine saß erschöpft und frustriert
auf einem Stein, die Mutter redete auf sie ein. Je näher wir kamen, desto mehr
und schneller redete und gestikulierte sie. Aber es nützte nichts. Wir zogen
vorbei und wünschten einen angenehmen Tag.
Ein paar hundert Meter weiter setzten wir uns für eine Pause
an den Wegesrand. Und die beiden Schottinnen kamen des Weges. Zu Leidwesen der
Tochter zog die Mutter sofort das Tempo an, um einen Vorsprung herauszuholen.
In fliegendem Galopp wehten die beiden an uns vorbei.
Wir tranken unseren Tee aus, packten zusammen und machten
uns wieder auf den Weg.
Die letzten drei Kilometer vor Kinlochleven verlief der Weg
in Serpentinen ins Tal. Die schottische Mutter zerrt ihre Tochter weiter in
höllischem Tempo. Auf keinen Fall wollte sie wieder von uns überholt werden!
Um der Serpentinenmonotonie auf dem breiten Forstweg zu
entgehen, nahmen wir immer Abkürzungen direkt durch den Wald und liefen die
Kurven nicht aus. Unten angekommen, machten wir wieder ein Päuschen. Da kam die
Schottin mit ihrer Tochter an der Hand den Weg herunter. Sie war außer sich!
Wieder waren wir vor ihr. Und sie konnte sich nicht erklären, wie wir hinter
ihr starten konnten und trotzdem vorher am Ziel waren.
Vorwurfsvoll schrie sie ihre Tochter an und fuchtelte wild
mit den Armen „These are Germans. They are very tough people!“
Die Tochter sagte nichts und wir zogen weiter.
Wir übernachteten bei einer Familie, die erst kürzlich
hierher gezogen war. Der Vater hat in Deutschland studiert und so wurde das ein
oder andere Wort auf Deutsch parliert.
8. Tag, Kinlochleven – Fort William (ca. 23 km)
Dies war der erste Regentag. Die Wolken hingen tief im Tal
und wir konnten die Berggipfel noch nicht einmal erahnen. Wir saßen beim
Frühstuck und blickten aus dem Fenster. Und siehe da! Mister Blister spazierte
vorbei, sah uns, winkte herein und zog guter Dinge weiter!
Von Kinlochleven aus geht es erst einmal steil nach oben.
Auf der Höhe geht es bis Fort William eher flach weiter. Dort trafen wir Mister
Blister wieder. Wie schon bei unserer Begegnung im Rannoch Moor saß er auf
einem Stein wie angeschraubt. Sein Lächeln hatte er sich immer noch bewahrt,
obwohl er unmenschliche Schmerzen ertragen musste.
„I will
make it to Fort William!“, sagte er. Worauf wir erwiderten:
“We hope you do!”
Er war heute zuversichtlicher als gestern. Er sagte nur:
„I can
smell the beer!“ wobei er mit der
Nase schnüffelte wie ein Reh im Wald.
Aus Sympathie haben wir auch geschnüffelt, aber wir haben es
noch nicht gerochen, das Bier. Es lagen noch 11 km vor uns, aber das sagten wir
ihm nicht. Wir wollten ihn nicht demoralisieren.
Bevor der Weg nach Fort William ins Tal hinabsteigt und zur
Rechten der Ben Nevis, der höchste Berg Schottlands bei gutem Wetter zu sehen
ist, trafen wir auf den ersten entspannten und schmerzfreien Wanderer. Es war
ein rothaariger Schotte, der fast nach Fort William schlenderte. Wir wechselten
ein paar Worte mit ihm, er ging ins Tal und wir besuchten ein eisenzeitliches
Fort etwas abseits des Weges.
In Fort William dinierten wir in einem indischen Restaurant
und wir waren ganz früh im Bett, denn morgen wollten wir hoch hinaus!
9. Tag, Ben Nevis (ca. 15 km)
Den Westhighland Way wollten wir mit einem besonderen
ereignis krönen: Der Besteigung des Ben Nevis. Zu diesem Zwecke haben wir schon
Wochen vor der Reise Kontakt mit Gary aufgenommen. Gary ist Bergsteiger und
Bergführer. Er hat jahrelang für die schottische Bergrettung gearbeitet, dies
aber aufgegeben, weil die Zahl der Hilferufe kontinuierlich zunahm. Damit hatte er kein Problem. Für ihn war es
nur ärgerlich, dass die zu rettenden Personen sich in Unkenntnis der Sachlage
selbst in die größte Gefahr begeben hatten und dann jemanden brauchten, der sie
rausholte.
Gary wollte nur ernsthafte Bergsteiger retten, keine
hirnlosen Touristen!
Jetzt verdiente er sein Geld als Bergführer in der eigenen
Firma. Sie hieß Tarmachan Mountainering. Tarmachan, so erklärte er uns, ist das
gälische Wort für das englische Ptarmigan. Ptarmigan bedeutet auf Deutsch Schneehuhn.
Schneehühner leben in der Regel in arktischen Gebieten und
sind auch auf schottischen Bergen zu finden. Gesehen haben wir an diesem Tage
keines davon.
Gary sollte uns nicht den sogenannten Touristenpfad hinauf
zum Gipfel bringen, sondern er sollte uns heil über die Carn Mor Dearg Arrete
bringen. Die CMD Arrete ist ein mehrere
hundert Meter langer sich verschmälernder Grat, der auf das Gipfelplateau den
Ben führt. Links und rechts davon geht es mehrere hundert Meter senkrecht in
die Tiefe. Gary versicherte uns per Email, dass jeder Wanderer den Grat
meistern könne, wenn er nur schwindelfrei sei, Bergsteigerequipment sei nicht
erforderlich, da der Grat an der schmalsten Stelle immer noch 50 cm breit sei.
Höhenangst darf man nicht haben, da es auf dem Grat selbst keine
Sicherungsmöglichkeiten gibt.
Ohne Führer hätten wir das Unternehmen nie angegangen. Nicht
umsonst sagen die Einheimischen über Ben Nevis: „This mountain is a killer!“.
Jedes Jahr sterben etliche Touristen, Bergwanderer und Bergsteiger auf und am
Ben. Wetterumschwünge sind bei Windgeschwindigkeiten bis über 100 km/h fast
nicht kalkulierbar, Schneeverwehungen laden auch noch im Sommer zu Abstürzen
ein und so mancher erfriert, weil er keine angemessene Kleidung dabei hat. Und
ausserdem wollten wir vom Grat nicht runtergeweht werden.
Als Treffpunkt vereinbarten wir das Ben Nevis Visitor
Centre. Wir wussten nicht, wie Gary aussah oder wie wir ihn erkennen konnten,
eine Handynummer hatten wir auch nicht.
Wir erkannten Gary sofort und er uns auch. Er saß auf der
Treppe und er war unter den ganzen Touristen der einzige Mensch, der wie ein
Bergsteiger gekleidet war. Wir waren die Einzigen, die in Wanderklamotten und
mit großem Tagesgepäck auf das Besucherzentrum zuliefen.
Wir begrüßten uns und er musterte uns kritisch.
„You got
everything you need?“
Wir wussten zwar nicht, was er meinte, aber wir bejahten.
Gary empfahl, direkt aufzubrechen, da die Besteigung des Ben
Nevis über die CMD Arrete sehr zeitaufwendig sei.
Das Wetter hatten wir diesmal nicht auf unserer Seite. Es
regnete und in den höheren Lagen schneite es. Auf schöne Aussichten durften wir
heute nicht hoffen.
Der Ben Nevis ist ein schottischer Mythos. Zehntausende
besteigen ihn jährlich. Da der Weg nach oben durch die vielen Füße ziemlich
ausgetreten ist, befestigten ihn Freiwillige mit Steintreppen.
Auch an diesem Morgen waren hunderte auf dem weg nach oben:
feine Damen in Pömps und mit Handtaschen elegant über den Unterarm gehängt,
Jungen in Tshirt ohne Rucksack, ganze Familien mit Kleinkindern.
Gary brachte
seine Verachtung gegenüber der Prozession deutlich zum Ausdruck.
Der Touristenpfad führt an einem Bergsee weiter nach oben.
Wir bogen hier ab entlang des Sees, hinunter in ein Tal, dort über einen
reißenden Bach und auf der anderen Seite
wieder den Berg hoch bis aufs Grat.
Beim Anstieg trafen wir auf eine Gruppe von sechs jungen
Leuten, die Anscheinend den Grat suchten. Sie hatten sich etwas aufgefächert,
um auch bei der geringen Sichtweite mehr zu sehen. Einer von Ihnen trug Karte
und Kompass. Gary schüttelte nur den Kopf und beachtete sie nicht weiter.
„Crazy people!“, hörte ich ihn nur hinter mir noch sagen.
Der Grat selbst war gut zu bewältigen. Es wehte kein Wind
und trotz des Schneeregens bot der Fels guten Halt.
Die Abgründe links und rechts des Grates bekamen wir nicht
zu Gesicht. Die Sichtweite betrug höchstens fünf Meter. Ich glaube, bei gutem
Wetter, wären Susanne und ich vor lauter Angst wieder umgekehrt.
Eine Pause gab es beim ehemaligen Wetterobservatorium auf
dem Gipfel. Gary führte uns bei null Sicht sicher über das Plateau zum
Touristenpfad, über den wir absteigen wollten.
Ein sichtlich desorientierter Inder kam uns entgegen und
fragte nach dem Weg zum Gipfel.
Ich wies ihm die Richtung ins weiße Nichts und er bedankte
sich artig mit einem „Thank you , Sir!“.
Gary schüttelte wieder den Kopf. Der Inder trug durchnässte Turnschuhe und hatte nur einen
Pullover an. Keinen Rucksack, keine Regenkleidung, nichts! Ich hörte Gary
nur noch vor sich hin grummeln
„Irresponsible people!“.
Der Weg nach unten war härter als der Weg nach oben. Was
schmerzten mir die Knie. Susanne hat das alles lockerer weggesteckt.
Nach 11 Stunden und über 1600 Höhenmetern verabschiedeten
wir uns von Gary und wir stürmten in die Ben Nevis Inn.
Zwei Plätze waren noch
frei. Wir stopften alles Mögliche in uns hinein. Geschmeckt hat es uns allemal,
ob es wirklich gut war, kann ich heute nicht mehr sagen.
Da wir keinen Schritt mehr tun konnten, ließen wir uns von
einem Taxi ins Hotel bringen.
Die Hotelbar überredete uns noch zu einem Bier und einem
Whiskey. Die Anfrage konnten wir einfach nicht ablehnen.
Da saßen wir also, nebeneinander und zusammengesunken auf
einem Sofa und schlürften unsere Alkoholika. Unsere Kräfte reichten gerade noch
aus, um die Gläser zu halten. Bei jedem Schluck fielen die Augen immer weiter
zu.
Die Tür zu Bar geht auf und ein Hotelgast will sie
durchqueren, um zu seinem Zimmer zu gelangen.
Er sieht uns, bleibt stehen und ruft zu uns:
„You look like I feel!“ und verlässt danach den Raum.
Na danke und Prost, wir gehen jetzt schlafen.
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